Kraftfahrermangel: Prof. Dr. Stefan Rock fordert das Über-Bord-Werfen alter Gewohnheiten

Er sagt, dass die Gegenmaßnahmen der Politik nicht ausreichen werden und man vor allem die Möglichkeiten der Digitalisierung mehr nutzen müsse

Der Lastwagenfahrer-Branche droht ein eklatanter Mangel. (Quelle: Pixabay)

Prof. Dr. Stefan Rock (Quelle: THI)

In Deutschland fehlen zehntausende Lastwagen-Fahrerinnen und -Fahrer, laut Branchenangaben ist von 60.000 bis 80.000 die Rede. Ein Problem, das seit vielen Jahren bekannt ist, sich aber zunehmend verschärft. Dr. Stefan Rock, Professor an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI), forscht zu handelslogistischen Themenfeldern. Er sagt: „Ein Umdenken aller an den Transportketten Beteiligen ist unabdingbar. Dies beinhaltet auch das Über-Bord-werfen liebgewonnener Gewohnheiten und das Gehen neuer Wege.“

In einer Studie sind Rock und sein Team aus Studierenden der Frage nachgegangen, wie man den Einsatz der vorhandenen Fahrerinnen und Fahrer effektiver gestalten kann und wie man ihnen den Berufsalltag vereinfachen kann bzw. was sie selbst dazu sagen, wie man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Job halten und neue anwerben könne. Denn eines ist klar: Der Fahrermangel, verursacht durch eine Vielzahl von Faktoren, lässt sich nicht von heute auf morgen beseitigen, auch und insbesondere nicht durch die Akquisition von Kraftfahrerinnen und Kraftfahrern aus dem immer östlicheren oder südöstlicheren Europa. „Mit dieser Maßnahme wird versucht, kurzfristig die Symptome zu lindern, ohne dass das Problem nachhaltig gelöst wird“, sagt Prof. Dr. Stefan Rock.

Problem muss nachhaltig gelöst werden

In erster Instanz könne man die Ausnutzung des vorhandenen Laderaums erhöhen. Bei 78 Prozent liegt diese derzeit europaweit. Durchschnittlich 38 Prozent Leerfahren finden laut statistischem Bundesamt statt, in einigen Branchen sind es sogar über 50 Prozent. Dies könne durch die verstärkte Nutzung von Transportbörsen, insbesondere bei spontanen Verkehren, oder durch einen intensiveren Einsatz bereits etablierter Güterverkehrskonzepte bei geplanten Verkehren sowie durch eine Verbesserung der Informationstransparenz, getrieben durch die fortschreitende Digitalisierung, kurzfristig verbessert werden, sagt Prof. Dr. Rock.

Aber das reiche nicht aus. Die Untersuchung der THI hat ergeben, dass ein großer Teil der Unzufriedenheit mit dem Job aus unnötigen Wartezeiten resultiert. Ein Beispiel: Meist sind die Zeiten der Anlieferung wenig flexibel. Dazu kommt, dass die Kraftfahrerin bzw. der Kraftfahrer aus haftungsrechtlichen Gründen seine Fracht selbst be- und entladen muss. Was passiert, wenn sich Ankunftszeiten verändern, ein Lastwagen zu früh oder zu spät ankommt? „Heute ist beides mit teils nicht zu ignorierenden Wartezeiten verbunden, Zeiten, die der Frachtführer kaum anderweitig nutzen kann“, erklärt der Professor für Internationales Handelsmanagement, insbesondere Handelslogistik. Welche Tätigkeiten übernimmt der Frachtführer nach dem Andocken? Eine Untersuchung hat gezeigt, dass wenn der Frachtführer hiervon entlastet wird, ein Zeitgewinn von bis zu 30 Prozent entstehen kann. Zeit, in der der Fahrer für seine eigentliche Tätigkeit zur Verfügung steht.

Maßnahmen zielten nur auf die Symptome

Die Politik hat vor Corona zu reagieren versucht, wobei deren Maßnahmenpaket bei den Adressaten, den Fahrern und Fahrerinnen, keine große Akzeptanz fand, sagt Rock. Oftmals zielten Maßnahmen auf die Symptome, nicht auf die Ursachen der Entwicklung.

Die Lösung der mit dem Fahrermangel verbundenen Herausforderungen ist eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufgabe, an der sowohl die Politik, die Arbeitgeber, die Empfänger der Waren sowie die breite Öffentlichkeit unter der Integration der Betroffenen zu beteiligen sind. Das hat die THI-Studie eindeutig bewiesen.  Organisatorische Maßnahmen, die Vermeidung von ineffektiven Aktivitäten in der Transportkette und die effizientere und konsequentere Anwendung von bestehenden güterverkehrslogistischen Konzepten sind durch Ansatzpunkte, die die Digitalisierung bietet, zu ergänzen. Einzelne Aktivitäten, zu denen auch unternehmensspezifische Aktivitäten, wie beispielsweise die Schaffung von Parkflächen mit einer entsprechenden Infrastruktur, zu der auch ansprechende Duschmöglichkeiten und Toiletten zählen oder Möglichkeiten, das Sozialleben der Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer zu beleben, sei es durch die Schaffung von Grillmöglichkeiten oder ähnlichem, werden nicht den erhofften Effekt haben. „Ein ganzheitlicher, systemisch orientierter Ansatz, getragen von der Infragestellung aller bisherigen Abläufe ist unabdingbar“, sagt Prof. Dr. Stefan Rock. „Das Ziel muss die Verbesserung der Attraktivität des Berufs der Kraftfahrenden in Kombination mit einer effizienteren Nutzung der Arbeitskapazität des Frachtführers sein. Eine nachhaltig erfolgreiche Volkswirtschaft benötigt neu gewonnene und motivierte Kraftfahrtalente - auch und insbesondere aus der eigenen Bevölkerung.“

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